Der Ischler Milchprozess 1947

Stecknadel Kreuzplatz


Menschenmenge vor dem Hotel „Goldenes Kreuz“ 1947 (Archiv ZME)


Die Versorgungslage mit Lebensmitteln im Jahr 1947 war schlecht. Als im August die Milchzuteilung für Kleinkinder reduziert wurde, brachte dies das Fass zum Überlaufen. Vor dem Rathaus versammelten sich aufgebrachte Bürger, um lauthals ihre Unzufriedenheit auszudrücken. Dann eskalierte die Situation: Die Menge bewegte sich zum Hotel „Goldenes Kreuz“ und beschimpfte die dort untergebrachten jüdischen „Displaced Persons“, meist Opfer des NS-Regimes und Überlebende von KZ-Lagern, die vergleichsweise gut versorgt waren. Verantwortungsbewusstsein für die Verbrechen des Nationalsozialismus war in der Bevölkerung kaum vorhanden.

Fensterscheiben gingen zu Bruch. Der Gendarmerie gelang es mühsam, die Menge zu zerstreuen. Die amerikanische Militärverwaltung suchte jedoch nach den Verursachern des Aufruhrs. Zwei Tage nach dem Ereignis wurden Verhaftungen vorgenommen und die Verdächtigen – meist Kommunisten – nach Linz gebracht. 

Im September 1947 fand in mehreren Verhandlungstagen der Prozess statt. Sechs Personen standen vor einem amerikanischen Militärgericht, fünf wurden zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Ein Aufschrei ging durch Österreich. Die Regierung in Wien intervenierte gegen diese „Einschränkung der österreichischen Souveränität“ und vor allem gegen die Höhe der Strafe. Viele der nun Kriminalisierten waren schon im Nationalsozialismus in Haft gewesen und erhielten von den Amerikanern mehr „aufgebrummt“, als von der Unrechtsjustiz des Dritten Reiches. 

Die sowjetische Propaganda erwähnte den antisemitischen Charakter des Tumults kaum, sondern stellte die Angeklagten als aufrechte Demokraten dar, die nur für ihre Rechte eintraten und stilisierte sie zu Märtyrern, die nun ein zweites Mal verfolgt wurden. 

Die amerikanische Militärverwaltung wiederum witterte hinter jeder Empörung den kommunistischen Versuch, einen Umsturz herbeizuführen und objektive Missstände für politische Zwecke auszuschlachten. 

Angesichts vieler ungesühnter Fälle aus der NS-Zeit, war das Urteil jedoch nicht zu halten. Die Intervention des österreichischen Bundeskanzlers kam deshalb nicht ungelegen, so konnte man das unliebsame Verdikt auf „Bitte“ Österreichs abschwächen. Das Lager „Goldenes Kreuz“ wurde aufgelöst.

Text: Dr. Michael Kurz


Zum Weiterlesen:

„Liegt Ischl in Costa Rica oder Nicaragua?” Der Ischler Milchprozess 1947 – Ein ausführlicher Artikel zum Thema von Michael Kurz (Betrifft Widerstand #144, Seite 12):
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